Gerd Schmithüsen Was Sie schon immer über die „Frequenzfrage“ in psychoanalytischen Behandlungen und der Lehranalyse wissen wollten –aber bisher noch nicht gefragt haben.

(Gekürzte Fassung eines Vortrags, gehalten zur Sommeruniversität in Frankfurt am 28.8.2019)

Es ist die Erfahrung von über 100 Jahren praktizierter psychoanalytisch klinischer Arbeit und deren theoretischer Durchdringung, die uns vor Augen führen kann, dass die Komplexitäten des Seelenlebens mit seinen Untiefen und der „Trägheit“ seelischer Prozesse, wie sie im Wiederholungszwang ihren Ausdruck finden, den Freud 1914 beschrieben hat und den wir heute detaillierter erfassen können, bei beschreibbaren Leidenskonstellationen (ich werde darauf später zurückkommen), ein intensives, möglichst dichtes, vier- oder fünfstündiges Arbeiten erfordern. Dabei ist das, was wir in der DPV „hochfrequente Ausbildung“ nennen, ein Kürzel für ein hoch komplexes Ausbildungsmodell. Ich greife hier einen Aspekt dieses nach Max Eitingon benannten Modells, die  Frequenz der wöchentlichen Sitzungen, heraus, weil sich an diesem Punkt immer wieder eine kontroverse und häufig affektiv aufgeladene Auseinandersetzung entzündet. Ich werde versuchen zu zeigen, dass dies mit den Schwierigkeiten zu tun hat, die der/dem AnalytikerIn in der Arbeit mit bestimmten Patientinnen begegnen, die in der psychoanalytischen Arbeit der/dem AnalytikerIn eine große Angst- und Spannungstoleranz, die Fähigkeit, über längere Zeit noch nicht zu verstehen oder zu tolerieren, auch höchst aggressiv attackiert zu werden, abverlangen. Sich auf diese Art der Arbeit mit Patienten einzulassen und dies zu wollen erfordert ein solides „Rüstzeug“ und vor allem eine ausreichend tiefe Kenntnis der eigenen Person, ihrer Brüche, Untiefen, „blinden Flecken“ und Ängste auf verschiedenen Niveaus. Dabei kann es nicht darum gehen, unverwundbar zu werden, sondern mit eigenen Verwundungen einen Umgang zu finden, der zu mehr innerer Beweglichkeit und innerer Freiheit führt, sich für eine solche Art von Arbeit entscheiden zu können und ihr gewachsen zu sein. Um sich mit ausreichend Zeit den Komplikationen, Verstörungen und manchmal sogar Zerstörungen menschlicher Beziehungen im Einzelfall widmen zu können, braucht es eine ausreichend gute Erfahrung mit der eigenen Lehranalyse. Um sich deren häufig genug zu erwartenden emotionalen „Stürmen“ aussetzen zu können, braucht es einen sicheren, haltenden Rahmen, wie ihn neben Anderem eine möglichst große Dichte der Wochenstunden gewährleisten kann.

In einem Impulsreferat zum Ausbildungsforum während der Herbsttagung der DPV (2018) schilderte Frau Özbek, eine Berliner Kollegin, dass sie „zuweilen ablehnend abwertende Bemerkungen von ehemaligen Kommilitonen und Kollegen (gehört habe), die zumeist alle die Frage umtrieb, warum ich mir das antun will. Die Ausbildung sei eine Zumutung fern von jeglicher Realität: vierstündige Lehranalyse – wie soll man das im Alltag neben der Arbeit schaffen? Vierstündige Behandlungen – woher soll man die Pt. dafür kriegen? Mehr Zeit und mehr Geld, die man würde investieren müssen, wo man doch an allen anderen Instituten nur 300 Stunden 3 stündiger Lehranalyse und dreistündige Patientenbehandlungen brauche.
Was also ist die Begründung für eine solche, häufig als „orthodox“, „streng“ oder „rigide“ bezeichnete und anspruchsvolle Regelung? Mit einem Antwortversuch auf diese Frage möchte ich mich im Folgenden aus unterschiedlicher Perspektive, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, jedoch immer mit einem erfahrungswissenschaftlichen Hintergrund, beschäftigen. 

Zunächst ein klinisches Beispiel aus meiner Praxis  (Alle persönlichen Daten und Kontexte in dieser Falldarstellung sind nach nationalen und internationalen Standards und Vereinbarungen für wissenschaftliche Fachpublikationen vom Autor anonymisiert worden)

Ich sah zum Erstgespräch einen schlanken, salopp gekleideten Mittdreißiger mit einer  erfolgreichen beruflichen Karriere, in leitender Position tätig, der mir von einer psychiatrischen Klinik nach dreimonatigem stationärem Aufenthalt mit der Diagnose einer sog. Major Depression überwiesen worden war. In Haltung und Tonus wirkte er auf mich im wahrsten Sinne des Wortes wie nieder geschlagen, mit ausdrucksloser Stimme sprechend, als habe er sich aufgegeben. Er berichtete, man habe ihm zu einer analytischen Therapie geraten, er nehme nach wie vor die in der Klinik verordneten Antidepressiva und ein Neuroleptikum und sei auch weiterhin in psychiatrischer Behandlung, was die Medikation angehe. 

Mehr als die Schilderung seiner gravierenden Schwierigkeiten beeindruckten mich seine Haltung und sein Ausdruck, mit denen er mir den Eindruck vermittelte, sich kraftlos in einer ihm ausweglos erscheinenden Sackgasse zu erleben und es nur mit letzter Kraft in meine Praxis geschafft zu haben. Obwohl ich über eine reichhaltige klinische Erfahrung verfüge und lange Jahre in Kliniken mit schwer kranken Menschen psychotherapeutisch gearbeitet hatte, dachte ich erschrocken in der Begegnung mit diesem Mann, noch nie jemanden in einer derart tiefen Depression gesehen zu haben. Und zugleich erreichte seine Not mich unmittelbar. Ich hatte das körperlich spürbare Gefühl „es verschlägt mir den Atem“ und ich dachte: „Ich muss ihn so oft wie möglich in der Woche sehen, sonst halte ich die Unsicherheit, wie es ihm zwischen den Stunden gehen wird, nicht aus. Und werde ihn unter Umständen wieder in eine Klinik schicken müssen.“

Er fragte mich dann, als ich ihm auf seine Frage nach dem Behandlungsrahmen, unter anderem, gesagt hatte „so oft wie möglich“, was das bedeute. Als ich ihm sagte, ich dächte es wäre gut, wenn er vier oder fünf Mal die Woche kommen könnte, reagierte er ohne zu überlegen mit einer Zusage. Mir jedoch kam das wie die Reaktion auf einen Befehl vor, als gebe es keinen Raum, den Vorschlag auf sich wirken zu lassen und das Für und Wider zu bedenken. Ich hatte das innere Bild eines Jungen, der auf einen 10-Meter-Turm gestiegen ist, nach unten schaut und voller Horror feststellt, wie tief das Wasser unter ihm ist, der sich jedoch nicht traut, die Leiter wieder nach unten zu steigen aus Angst, dann von den unten stehenden Kameraden verlacht zu werden. Und der dann in einem Zustand von Depersonalisierung springt, was er dann nie wieder tun wird. 

Dieses innere Bild bot ich dem zukünftigen Patienten an und bezog es auf unsere Situation, indem ich ihm sagte, dass ich den Eindruck hätte, er stimme dem Rahmenvorschlag aus der Angst zu, dass ich ihn sonst nicht nehmen werde, dass ihm jedoch die Häufigkeit der Stunden große Angst mache. Nachdem er das bestätigte und zu meinem Erstaunen kurz berichtete, dass er tatsächlich diese Sprungturmsituation real erlebt habe und danach nie wieder gesprungen sei, schlug ich ihm für den Beginn unserer Arbeit eine zweistündige Wochenfrequenz vor. Ich unterließ es nicht, darauf hinzuweisen, dass, wenn er oder ich den Eindruck bekämen, dass das Arrangement, warum immer, nicht ausreiche, dann müssten wir darüber reden. 

Nachdem die Kostenzusage seiner Krankenkasse für eine analytische Psychotherapie vorlag, kam Herr B in der Folge wie vereinbart an zwei Stunden in der Woche, die Stunden waren montags und donnerstags. Wie er mir bald zögernd und sich anscheinend gequält fühlend mitteilte, fühlte er sich in den Pausen unerträglich allein und hörte, wie er unter Scham berichtete, meine Stimme am Anrufbeantworter in der Nacht ab, davon ausgehend, dass ich dann nicht ans Telefon gehen und ihn nicht in seiner „Wehleidigkeit kennen lernen“ würde. Bald bat er hin und wieder in spürbarer Not um eine dritte Stunde, als „Ausnahme“, wie er sagte, „um nicht ins Bodenlose zu stürzen“. Diese Stunde konnten wir, da ich alle Arbeitsstunden der Woche belegt hatte, nur ausnahmsweise an einem Samstag einrichten. Als Herr B dann darum bat, diese dritte Stunde fest einzurichten, konnten wir erneut darüber sprechen, dass meine ursprüngliche Idee, dass er so oft wie möglich kommen sollte, anscheinend angemessen gewesen war. Nach einiger Zeit konnten wir vier Stunden in der Woche an aufeinander folgenden Tagen einrichten und Herr B fühlte sich offensichtlich durch dieses Arrangement ausreichend sicher „gehalten“, so dass er in einen konstruktiven, wenn auch uns beide immer wieder sehr fordernden und belastenden, mehrere Jahre benötigenden psychoanalytischen Prozess hineinfinden konnte.

Warum schildere ich dieses Beispiel? Ich möchte ausgehend von diesem praktischen Beispiel vermitteln, was mich in die Lage versetzt und mir den Mut gibt, einen schwer kranken Menschen wie Herrn B in Behandlung zu nehmen. Was es notwendig macht, die Rahmenbedingungen für diese Arbeit so zu gestalten, dass eine solche Arbeit für mich möglich wird und die voraussichtlichen Belastungen dieser Arbeit, die im Fall von Herrn B für uns beide schon im Erstgespräch spürbar wurden, konstruktiv und tragbar für den potentiellen Patienten zu gestalten.

Nun, was es mir ermöglicht, auch mit solch schwer kranken Patienten zu arbeiten, das ist die gute Erfahrung, die ich selbst in meiner Lehranalyse (anfänglich vierstündig, dann auf eigenen Wunsch fünfstündig) und den vierstündig unter Supervision durchgeführten Psychoanalysen mit Patienten gemacht habe. In meiner Lehranalyse musste ich mich intensiv mit meinen eigenen Schwierigkeiten, dunklen Seiten, zeitweise mit Verzweiflung, Angst davor verrückt zu werden, einem bis dato abgewehrten Gefühl von tiefer Einsamkeit, um nur einiges zu benennen, auseinandersetzen. Ich bezeichne dies als eine gute Erfahrung, weil ich am eigenen Leib erfahren durfte, dass ich in meiner Lehranalyse ausreichend Halt, Sicherheit und Verstehen seitens meiner Lehranalytikerin erlebte, um mich mit all diesen Abgründen – meinem Unbewussten – auseinanderzusetzen und dies zu einer grundlegenden Veränderung meiner selbst führte. 

Kurz gesagt, ich habe meine eigene Analyse als ausgesprochen hilfreich erlebt und hatte das „Glück“, dass meine Lehranalytikerin ausreichend persönlichen Mut und Vertrauen in die Potenz des psychoanalytischen Prozesses hatte – und mich bei all meinen Schwierigkeiten für ausreichend stabil hielt und wohl auch Vertrauen in ihre Fähigkeit hatte – so dass sie sich auf diese Arbeit mit mir einlassen konnte. Ich hatte das Glück, dass mir sowohl in meiner Lehranalyse als auch in meinen Supervisionen dergestalt ein „Lernen aus Erfahrung“ ermöglicht wurde. 

Aber warum so oft (vier oder fünf Mal) die Woche? Meine persönliche Antwort auf diese Frage ist: Ich brauchte es so oft. Anders hätte ich die seelische Belastung, die manchmal überwältigende Angst, da bin ich subjektiv ganz sicher, nicht ausgehalten. Und ich hatte das Glück, dass ich ein großes Vertrauen in meine Analytikerin und wohl auch in die analytische Methode hatte. Neben dieser persönlichen Erfahrung kenne ich viele KollegInnen, die eine vergleichbare Erfahrung gemacht haben und dies aus eigenem Erleben bestätigen.

Warum also begegnet sich das analytische Paar an mehr Tagen in der Woche in der analytischen Stube als es Tage gibt, an denen es sich nicht begegnet? Warum dieser (zeitliche und finanzielle) Aufwand? Ich habe diese etwas  umständlich scheinende Formulierung gewählt, um deutlich zu machen, dass im 4 bis 5-stündigen Setting der analytische Prozess, zumindest auf einer symbolischen Ebene, außer am Wochenende, im täglichen Rhythmus stattfindet. Dass also ein „Bis morgen!“ bei der Verabschiedung in diesem Setting den Rhythmus der Treffen bestimmt und dies auf dem Hintergrund der Erfahrung vieler KollegInnen ein Zeitraum ist, den ein Mensch in tieferer Regression als Zeitspanne des Wartens, wenn auch vielleicht manchmal nur schwer, tolerieren kann. In diesem Rahmen kommt natürlich der Wochenendpause (zwei oder drei Tage) als Zeit der Trennung eine hohe Bedeutung zu und stellt eine immense seelische Arbeitsanforderung dar, die jedoch vom engmaschigen Setting gehalten wird und psychoanalytisch durchgearbeitet werden kann. Das heißt, dass dieser Rhythmus eine sehr dichte Form der Bezogenheit ermöglicht und eine starke Verbindung mit allem ermöglicht, was das affektiv und emotional für die Übertragung, im Sinn von Regression und Widerstand bedeutet. 

Wenn nun die Begegnung in einem drei- oder zweistündigen Setting stattfindet, so kann von einem symbolisch täglichen Treffen mit Ausnahme der Wochenenden nicht mehr die Rede sein. Liegen die Stunden, was häufig wünschenswert sein dürfte, um in einen analytischen Prozess zu kommen, an drei aufeinander folgenden Tagen, so gibt es dann eine Pause von vier Tagen bis zur nächsten Sitzung. Dies kann nicht nur eine immense emotionale Belastung für PatientInnen bedeuten, sondern auch zu rekombinierenden pathologischen Selbstorganisationen (s. weiter unten), einem Stagnieren der Arbeit, Rückzügen oder Abbrüchen führen. Liegen die Stunden in der Woche verteilt mit je einem Tag Pause dazwischen, so ergibt das einen völlig anderen inneren Rhythmus der Begegnung, der in der Regel zu mehr Distanz in der Beziehung und mehr rationaler Kontrolle führen wird. 

Im Folgenden möchte ich die Reflexionen einiger  Kolleginnen und Kollegen weidergeben, , die sich ebenfalls auf eine erfahrungswissenschaftliche Grundlage stützen. 

In einer Arbeit zu „Vierstündigkeit zwischen Idealisierung und realistischer Einschätzung“ beschreibt Staehle im DPV Info 2011 prägnant ihr Verständnis von Psychoanalyse: „Gegenüber vorherrschenden Tendenzen zur kurzfristigen psychotechnischen Beseitigung von Störungen oder Defekten betont die Psychoanalyse die Notwendigkeit von äußerem und innerem Raum und Zeit für die Auseinandersetzung mit sich selbst, für das Verstehen zerrissener lebensgeschichtlicher Zusammenhänge, für die Analyse unbewusster Sinnzusammenhänge, und für die Fortführung konflikthaft oder traumatisch unterbrochener Entwicklungsprozesse. Dabei spielen Prozesse der kritischen Selbstreflexion, die Auseinandersetzung mit Angst, Schmerz, Trauer und Ambivalenz, die Akzeptanz unrealisierbarer Wünsche und Illusionen, die Toleranz für Unsicherheit, Krankheit und Leiden eine bedeutende Rolle. Die Psychoanalyse sieht die Möglichkeit dazu nur in einem längerfristigen, stabilen persönlichen, menschlichen Begegnungs- und Beziehungsraum. Dieser Begegnungs- und Beziehungsraum braucht einen sichern Rahmen – das Setting – mit fest vereinbarten Zeiten, die einen Rhythmus der Sicherheit gewährleisten.“ 

Danckwardt (2014) geht im Buch „Mikroprozesse psychoanalytischen Arbeitens“ der Frage nach, „wann, warum und wieso ist überhaupt  hochfrequente Psychoanalyse entwickelt worden und aus welchen Gründen  .. [ist] an ihr festgehalten [worden]“. Er betont, dass die hochfrequente Psychoanalyse nicht aus einer Theorie abgeleitet, sondern erfahrungswissenschaftlich anhand der konkreten Arbeit mit Patienten, also „aus klinischen Beobachtungen und daraus erwachsendem Behandlungswissen“ von Freud begründet und seit hundert Jahren auf erfahrungswissenschaftlicher Grundlage weiter entwickelt wurde. Auch die psychoanalytische Theoriebildung und deren über hundertjährige Weiterentwicklung basieren auf diesen erfahrungswissenschaftlichen, klinischen Grundlagen. 

Bezogen auf die psychoanalytische Ausbildung schreibt Staehle in der schon erwähnten Arbeit im DPV-Info: „Vierstündigkeit schafft eine nicht eindeutig kausal erklärbare, sondern nur erfahrbare Binnendifferenzierung im analytischen Prozess. Es wird dadurch die Fähigkeit erworben, warten zu können, nicht zu wissen, Dichte und Tiefe auszuhalten, starke und flache Affekte aufzunehmen, ein Gefühl für die zeitliche Dimension des Seelischen zu entwickeln. All dieses Wissen um die Dynamik komplexer psychoanalytischer Prozesse, die ihre Zeit brauchen, wird dann zum Teil der psychoanalytischen Haltung.“ 

Es ist aber genau die während der Zeit der Ausbildung zum Psychoanalytiker ‚am eigenen Leib‘ erfahrene und von Staehle beispielhaft beschriebene und notwendig sich entwickelnde Komplexität des psychoanalytischen Prozesses, die sich auch in der Arbeit mit schwerer erkrankten Menschen, wie in meinem obigen Beispiel angedeutet, entfalten wird und einen angemessenen Rahmen benötigt.

Immer noch bezogen auf die psychoanalytische Ausbildung betont Staehle, dass „… dieses Lernen aus eigener Erfahrung … so wichtig [ist], um wirklich zu verinnerlichen, dass Psychoanalyse nicht darin besteht, eine Methode oder Konzepte anzuwenden, sondern, dass diese durch einen ‚hindurchgegangen‘ sein müssen, so dass sie in der Stunde mit dem Patienten als implizites Wissen (im Sinne von Bions K und nicht im Sinne von faktischem Wissen über Behandlungstechnik) im Hintergrund zur Verfügung stehen.“

Ebenfalls im DPV-Info 65 (2018) setzt sich Torsten Siol mit dem Wert hochfrequenter Psychoanalysen und dem Vorwurf einer rigiden Handhabung der Frequenz, vor allem in der Ausbildung zum Psychoanalytiker, auseinander.  In seiner Arbeit „Flexibel? Rigide? – Nachdenken über den Wert hochfrequenter Erfahrungen“ betont Siol, dass es bei der Frage von Rigidität bzw. Flexibilität nicht um ein entweder – oder, also sich wechselseitig ausschließende, Gegensatzpaare handelt. Vielmehr benötige die psychoanalytische Arbeit beides, also die Fähigkeit, sich den Bedürfnissen und Möglichkeiten des zukünftigen Analysanden flexibel anzupassen (wie in der Schilderung meines Umgangs mit der Settingvereinbarung bei Herrn B oben) als auch eine Festigkeit, was die Rahmenvereinbarung angehe. Er schreibt: „Wir Analytiker brauchen fraglos beides: Beweglichkeit und Umstellungsbereitschaft, z.B. in unserer Interventionstechnik (wie reagiere ich auf Äußerungen, Handlungsdialoge, Stimmungen?), in unserem Einfühlungsvermögen, aber auch im Anpassen an die äußere Realität. Gleichzeitig benötigen wir ebenso eine gute Portion Rigidität, im Sinne von Festigkeit und Zuverlässigkeit, insbesondere wenn es um den Rahmen geht. Konstanz und Verbindlichkeit sind ebenfalls für die formalen Behandlungsbedingungen als essentielle Bestandteile des analytischen Rahmens vonnöten, so für Zeitpunkt, Ort und Dauer der Sitzungen, die Finanzierung und natürlich auch die Frequenz. Unsere Aufgabe ist es einen Rahmen zu wählen und zu vereinbaren, der für den Patienten – unter Berücksichtigung seiner und unserer realen Gegebenheiten – möglichst entwicklungsfördernd ist.“

Was aber ist nun für Siol die Begründung für ein vier- oder fünfstündiges psychoanalytisches Arbeiten? Welche inhaltlichen Gründe führt er für diese Form des Arbeitens und ihren zentralen Platz in der Ausbildung in der DPV ins Feld? Er weist, wie schon von mir oben am Beispiel gezeigt, auf die zentralen Merkmale hochfrequenten Arbeitens, nämlich Dichte und Rhythmus, hin. „Der Rhythmus hochfrequenter Behandlungen ist geprägt durch (fast) tägliche Begegnungen mit dem Analytiker und sich selbst im analytischen Setting, die regelmäßigen Wochenendunterbrechungen reaktualisieren Trennungserfahrungen und die mit ihnen verbundenen Affekte und Phantasien. Bei niedrigerer Frequenz weicht dieser besondere Rhythmus auf, oder er geht ganz verloren; die Zahl der analysefreien Tage übersteigt die der Tage mit Analysestunden, es entstehen größere Lücken zwischen den Sitzungen, oder aber die Wochenendpause wird deutlich verlängert.“

Wie schon Danckwardt (2014) betont hat, kann es bei einer zu geringen Dichte der Stunden in der Woche zu einem subtilen Rückzug der Analysanden aus der psychoanalytischen Arbeit und einem Zunichtemachen der bisherigen Arbeit zur Angstabwehr kommen; Danckwardt bezeichnet diese Form des Rückzugs in die ursprüngliche Symptomatik und deren Verstärkung als „rekombinierende pathologische Selbstorganisation“.

Ähnlich wie auch Bronstein und Frank argumentiert Siol: „Eine hohe Frequenz bietet uns die größtmögliche Chance, pathogene Muster bzw. auch vorsprachliche innere Zustände des Patienten zu erfahren, uns von ihnen berühren und anstecken zu lassen, ohne ihn durch ein Agieren der Gegenübertragung zu retraumatisieren oder ihm seine Entwicklungsmöglichkeiten zu nehmen. Sowohl für Lehranalysen als auch für therapeutische Analysen gilt, dass die Chance, mit sich bekannt gemacht zu werden und auch einen Zugang zu subtilen oder stark abgewehrten Konflikten und nichtrepräsentierten inneren Verfassungen zu gewinnen, in einem hinreichend dichten und stabilen Setting größer ist. Wie bereits eingangs betont, ist auch eine hochfrequente Analyse keine Garantie für eine solche Erfahrung, aber da wir mit unserer Innenwelt das Instrument für unsere psychoanalytische Arbeit darstellen, muss uns daran gelegen sein, um diese so eingehend und differenziert wie möglich zu wissen.“ Diese Überlegungen gelten in ganz besonderem Maße für eine ausreichend gute Ausbildung zur Psychoanalytikerin / zum Psychoanalytiker!

Im DPV-Info 63 von 2017weist Claudia Frank auf den wichtigen Aspekt hin, dass dem analytischen Rahmen in der Ausbildung auch die Funktion einer „Einübung“ – „die analytische Haltung einzunehmen, innezuhalten und selbstreflexiv zu untersuchen“ – innewohnt. Sie schreibt: „Um die Bedeutung eines stabilen, hinreichend dichten Rahmens auf den verschiedenen Ebenen wissen wir alle. Wir können … es nur dann wagen, uns ggf. zutiefst verstörenden, ängstigenden, unliebsamen Bereichen zu stellen, wenn wir darauf zählen können, dass unser Analytiker hinreichend ausgebildet ist, sich all dem in der Gegenübertragung zu stellen, und dass er es uns in verdaubaren Portionen zugänglich macht und wir nicht über das Erträgliche hinaus damit allein gelassen werden.“
Zur Veranschaulichung der psychodynamischen Aspekte als Begründung für vier- oder fünfstündiges Arbeiten greife ich im Folgenden  einige Punkte zur Indikation für vier- oder fünfstündige Psychoanalysen heraus, wie sie Danckwardt und Gattig in ihrem Manual (1996) versammeln. Ich nutze dazu den Überblick, wie ihn Siol zusammengestellt hat.

  1. Gerade bei Patienten, die zunächst eher symptomarm erscheinen mögen bzw. deren Leidensdruck zwar ausgeprägt, aber doch diffus ist, erleichtert die hohe Frequenz es dem Analytiker, seine Empathie auf die inneren Bedingungen des Analysanden einzustellen. Vorsprachliche innere Zustände brauchen eine besondere Intensität und Direktheit des analytischen Kontakts, um sich entfalten, von uns wahr- und aufgenommen und nach und nach zugänglich gemacht werden zu können. Die Annäherung an die oft von Fragmentierungsängsten, Haltlosigkeit, Verlassenheitsgefühlen oder massiven abgewehrten Wutaffekten, oft nur partiell repräsentierten inneren Verfassungen kann nur kleinschrittig erfolgen, damit die Angsttoleranz des Patienten nicht überfordert wird.
  2. Wenn Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht, Vernichtung, Neid, Hass oder Minderwertigkeit eine extreme, das Ich und seine Integrationsmöglichkeiten überfordernde Qualität erreichen und vorwiegend projektiv bzw. projektiv identifikatorisch abgewehrt werden müssen, ist es wichtig, diese Erfahrung einerseits im analytischen Prozess wiederholen zu können. Andererseits ist es aber zwingend erforderlich, dem Analysanden die Erfahrung zu ermöglichen, nicht gemeinsam mit dem Analytiker im Wiederholungszwang gefangen zu bleiben.“ 

Auch Bronstein (2017) weist darauf hin, dass eine dichte Stundenabfolge in der Woche, wie sie das Arbeiten in einem vier- oder fünfstündigen Setting gewährleistet, eine Regression „im Dienst des Ich“ (Freud) oder „zu dem Zweck, erkannt zu werden“ (Balint), erleichtert oder manchmal auch erst ermöglicht, so dass frühe Ängste und Phantasien oder auch träumerische Zustände zugänglich werden können. Eine ausreichende Kontinuität in Raum und Zeit kann verhindern oder zumindest erschweren, dass Widerstände des Ich zur Angstabwehr reorganisiert werden. Gerade wenn es um frühe Phänomene geht, die häufig nicht verbal vermittelt werden können, sondern häufig durch Handeln kommuniziert werden, ist eine möglichst dichte Stundenabfolge unabdingbar, um sowohl die damit einhergehenden namenlosen Ängste ertragen zu können als auch für die Analytikerin die Möglichkeit zu eröffnen, einen Zugang z. B. zum Angstniveau des Patienten zu finden. Das bedeutet unter Umständen, zunächst einmal das, was der Patient noch nicht mitteilen kann, ja noch nicht einmal erleben, sondern nur erleiden kann, zunächst mit zu erleiden, um es dann Schritt für Schritt dem Patienten erlebbar zu machen. 

Mit Bezug auf die psychoanalytische Ausbildung stellt Claudia Frank fest, dass „… wir mit dem Setting natürlich nur die erfahrungsgemäß notwendigen äußeren Faktoren festlegen, im Wissen, dass andere – die Persönlichkeit des Analytikers, seine Überzeugungen, Erfahrungen und unbewussten Ängste, technische Herangehensweise etc. – den Prozess mitbedingen, die aber in dem genannten [vier- bis fünfstündigen; GS] Rahmen am Wahrscheinlichsten ins Offene kommen.“ Außerdem weist sie auf einen häufig zu wenig bedachten Aspekt unserer Ausbildung nach dem Eitingon-Modell hin, nämlich den der „Verzahnung“ von hochfrequenter Lehranalyse, die in der Regel die hochfrequenten  Ausbildungsbehandlungen begleitet. Dies hat zur Folge, dass die durch die Ausbildungsbehandlungen in den KandidatInnen ausgelösten archaischen Ängste, quälendes zeitweises Nichtverstehen und Insuffizienzgefühle in der Lehranalyse im dichten Setting gehalten, durchgearbeitet und verstanden werden können. 

Ich habe versucht, sowohl aus der Perspektive meines persönlichen Erfahrungshintergrunds als auch unter Zuhilfenahme der erfahrungswissenschaftlichen Überlegungen einer Reihe ausgewiesener Kolleginnen und Kollegen zu vermitteln, welche inhaltlichen und erfahrungswissenschaftlichen Gründe den Ausbildungsrichtlinien der DPV zugrunde liegen.

Alle mit der Ausbildung befassten Gremien der DPV sind bemüht, die schwierige, aber unvermeidbare Spannung zwischen der Aufrechterhaltung unserer hohen Ausbildungsstandards  und den Schwierigkeiten, mit denen unsere Kandidaten umzugehen haben, in einen tragbaren und erträglichen Ausgleich zu bringen. Das heißt, ohne die Ausbildungsstandards substantiell zu verändern, im Einzelfall zu flexiblen und tragbaren Lösungen zu kommen, um den Kandidaten eine Ausbildung auf einem hohen Niveau zu ermöglichen. Ich zitiere aus einem zAA Protokoll vom Mai 2010: „In der Beurteilung der Ausbildungsanalysen gibt man den inhaltlichen Bewertungen (Supervisionsberichte, Voten der Institute) ein größeres Gewicht. Das schematische Zählen der 300 Stunden ist gegenüber einer inhaltlichen Beurteilung, ob eine ausreichend gute Erfahrung mit 4-(oder 5-stündigen Analysen) von insgesamt mindestens 600 Stunden vorhanden ist, in den Hintergrund getreten. Dies wird jedoch sorgfältig in jedem Einzelfall zusammen mit den örtlichen Instituten bewertet.“

Das heißt mit anderen Worten, wir sind in der DPV bislang einen anderen Weg als die IPA gegangen, um mit den nicht zu leugnenden Schwierigkeiten in und für die Ausbildung umzugehen und gangbare Möglichkeiten zu eröffnen, ohne unsere Ausbildungsstandards grundlegend zu ändern. 

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Meine Argumentation bedeutet  selbstverständlich nicht, dass es nicht möglich ist, mit einer reduzierten Wochenstundenzahl sinnvolle psychoanalytische Arbeit zu machen. Psychoanalytisches Arbeiten ist in jedem Setting möglich. Allerdings bietet für den hier interessierenden Zusammenhang, nämlich die psychoanalytische Ausbildung, sowohl die ausreichend lange Erfahrung einer vier- oder fünfstündigen Lehranalyse (in der Regel die Zeit der Ausbildung begleitend) als auch die Erfahrung vier- oder fünfstündiger Psychoanalysen von Patienten unter Supervision nicht nur meines Erachtens, wie ich gezeigt habe, die bestmögliche Grundlage, um sowohl ausreichend vertiefte, mikroprozessuale und detaillierte Erfahrungen früher Abwehr- und Erlebnisformen zu machen und auf diese Weise möglichst umfassend auch mit sich selbst bekannt zu werden. Sind wir doch mit unserer ganzen Persönlichkeit, mit unseren Fähigkeiten, unserer Verletzlichkeit, narzisstischen Bedürftigkeit, unseren Ängsten, Zweifeln und Abgründen sowohl bewusst als auch unbewusst das „Instrument“, mit dem wir unseren Analysandinnen gleichschwebend zuhören, in Resonanz gehen, uns verwickeln lassen und aus der bewussten und noch mehr unbewussten Resonanz versuchen, einen verstehenden und dann auch deutenden Zugang zu unseren Analysanden zu suchen. Eben deshalb ist es unabdingbar, dass wir so weit wie möglich mit uns „bekannt“ werden. Da dieser Weg der Selbsterkenntnis alles andere als einfach ist, braucht es einen sicheren, stabilen und haltenden Rahmen, um die notwendig regressiven Prozesse wagen und halten zu können.

Abschließen möchte ich mit dem Zitat eines Kandidaten aus einer Umfrage, die Lisa Kallenbach-Kaminski, derzeit Bundeskandidatensprecherin der DPV, unter Kandidaten durchgeführt hat und die im DPV Info 65 (2018) veröffentlicht ist. „Ich befinde mich in vierstündiger Lehranalyse, habe aber durch meine Facharztweiterbildung eine Steigerung der Frequenz mitgemacht. So lief meine Selbsterfahrung erst lange zwei-, dann drei- und bei Zulassung dann vierstündig als Lehranalyse. Es ist natürlich schwer zu sagen, was diesen Unterschied ausgemacht hat, aber sicherlich hat es zu einer Art Stabilisierung/Verfestigung/Beruhigung geführt. Der äußere Einfluss von Wochenpausen, Feiertagen und anderen Ausfällen hat sich reduziert. Für mich zählen daher nicht die zusätzlichen 50 Minuten, sondern explizit der vierte Termin, der vierte Tag  in der Woche, an dem ich Analyse habe. Wenn ich nicht aufgrund von Eitingon [den Ausbildungsrichtlinien]  gezwungen gewesen wäre, hätte ich diese Erfahrung nicht gesammelt. Eine vierstündige Lehranalyse hätte ich nicht begonnen. … Ich habe mich bei der DPV beworben, da ich die hohen Standards der Ausbildung im Vorhinein geschätzt habe. Dabei war vor allem der Vergleich zur Facharztweiterbildung mit den unzureichenden Standards ausschlaggebend.“

Literatur:
Bronstein, C. (2017): The Eitingon model: as to why 3 is not = 4/5
Danckward, J. F., Gattig, E. (1996): Die Indikation zur hochfrequenten analytischen Psychotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung; Stuttgart-Bad Cannstadt, frommann-holzboog
Danckwardt, J. F., Schmithüsen, G., Wegner, P. (2014): Mikroprozesse psychoanalytischen Arbeitens; Frankfurt, Brandes&Apsel
Frank, C. ((2017): Gedanken zur Bedeutung der Entscheidung des IPA-Board am 23.7.2017 in Buenos Aires, das Eitingon-Modell zu verändern; DPV Info Nr. 63
Freud, S. (1913c): Zur Einleitung der Behandlung, GW VIII
Kallenbach-Kaminski, L. (2018): Eine Umfrage unter DPV-Ausbildungsteilnehmern und -kandidaten zu den aktuellen Ausbildungsstandards vor dem Hintergrund des neuen IPA-Beschlusses zur Modifikation des Eitingon-Modells; DPV-Info 65
Özbek, T. (2018): („Ich muss sie auf vier Stunden bringen!“ – Überlegungen zur Vermittlung der Vierstündigkeit in der Ausbildung; DPV-Info 65
Siol, T. (2018): Flexibel? Rigide? – Nachdenken über den Wert hochfrequenter Erfahrungen; DPV-Info 65
Staehle, A. (2011):  Vierstündigkeit zwischen Idealisierung und realistischer Einschätzung; DPV-Info 51

Anschrift des Verfassers: 
Am Botanischen Garten 8
50735 Köln 
Email: